Ein besonderer Platz in der Hölle

Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für politische Führungspersönlichkeiten, die die verletzliche und schwache Position ihrer Bürger_innen zu Zeiten von Corona ausnutzen, um sich an Macht zu bereichern. Und für alle, die die internationale Zusammenarbeit sabotieren, statt zu begreifen, dass sie die Antwort auf die Frage nach unserem Überleben ist. 

Es ist keine zwei Wochen her, da sprach ich mit einem in Belgrad lebenden Freund über die Ausgangssperre, die Präsident Aleksandar Vučić angeblich wegen des Corona-Virus verhängt hatte. Um die medizinische Versorgung und die Möglichkeiten Serbiens im Kampf gegen große Infektionszahlen besorgt sagte ich erst sinngemäß: „Alter, passt auf euch auf. Wenn das bei euch so schlimm wird wie anderswo, ist bald niemand mehr da, der um Demokratie kämpfen kann. Bekämpfen wir erst das Virus und dann die Autokratie.“ Und mein Freund sagte das einzig Richtige darauf:

„We might have to do that simultaneously unfortunately.“

Wenige Tage später sprengte die Partei LDK im Kosovo die Regierung, weil Premierminister Albin Kurti den der LDK angehörenden Innenminister entlassen hatte, nachdem dieser gegen den Willen des Premier die Forderung des Präsidenten nach Verhängung des Ausnahmezustands und somit gravierende Einschränkung der Bürger_innenrechte unterstützt hatte. Keine große Überraschung, doch zeugt es schon von besonderer politischer Verantwortungslosigkeit, während einer so tödlichen Pandemie die Regierung abzumontieren, weil man selbst gerne den Premier stellen möchte.

Viktor Orbán wiederum hat kürzlich erfolgreich das ungarische Parlament entmachtet und regiert jetzt auf unbestimmte Zeit per Dekret. Verbreiter von „Fake News“ oder Fake News drohen hohe Gefängnisstrafen. Ob er wirklich die letzten Schritte zur Autokratie vollziehen will oder „nur“ die Opposition schwächen und sich als zu unrecht beschuldigter Held, der bloß Menschenleben retten wollte, inszenieren will, es ist eine dramatische Entwicklung.

Zimmereinteilung für die Ewigkeit in der Hölle

Es gibt einen besonderen Platz in der Hölle für politische Führungspersönlichkeiten, die die verletzliche und schwache Position ihrer Bürger_innen ausnutzen, um sich an Macht zu bereichern. Autokratische Tendenzen sind das Virus, das unsere Demokratie zersetzt, wenn deren Immunsystem geschwächt ist. Demokratie ist kein Luxusgut, das wir uns leisten, wenn es uns gut geht. Sie ist eine elementare Grundlage dafür, DASS es uns möglichst gut geht, schreibt auch Franz Fischler, Präsident des Europäischen Forums Alpbach, in einem Gastkommentar in der Presse.

Der Vorraum dieser erwähnten, speziellen Höllenkammer ist wiederum reserviert für all jene, die in dieser schwierigen Situation – der größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg, wie viele von ihnen in ihren Reden sagen – immer noch Zeit verschwenden, statt alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um eine funktionierende europäische und internationale Zusammenarbeit zu gewährleisten. Dort werden sich dann jene wiedersehen, die medizinisches Schutzmaterial anderer Staaten beschlagnahmen und statt Hilfeleistung an Partnerstaaten einzuleiten, Exportsperren für dringend benötigte Ausrüstung verhängen. Und auch jene, die den Moment damit verbringen, die Europäische Union oder andere internationale Organisationen zu diskreditieren, anstatt Verantwortung für deren Funktionieren zu übernehmen.

Mutlilateralismus – damit wir überleben

In der aktuellen Situation ist die umgehende Entscheidung für den Multilateralismus mehr denn je die Antwort auf die Überlebensfrage. Entweder wir arbeiten zusammen oder wir gehen unter. Diesen Satz haben pro-europäische Denker_innen und Kräfte so oft gesagt, dass er uns schon nichts mehr bedeutet. Tatsächlich zeigt sich aktuell, wie recht sie damit hatten. Die Welt ist krank und hat keine Zeit für nationale Eitelkeiten und keine Zeit für bullshittige Gassenhauer, die auf nationale Beliebtheitswerte mancher Politiker_innen einzahlen. 

Welche Art Regierung können wir achten?

H.D. Thoreau schreibt in seinem Essay Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat: „Jedermann soll erklären, vor welcher Art Regierung er Achtung haben könnte, und das wird ein Schritt auf dem Weg zu ihr sein.“

Ich denke dieser Tage oft an meinen leider verstorbenen Freund Wolfgang Wosolsobe, der ein glühender Verfechter der europäischen und internationalen Zusammenarbeit war. Ich glaube, dass er das nicht deshalb war,  weil er sich als großer Zukunftserträumer für dieses Europa begriff, sondern weil er es als seine wichtigste Pflicht verstand, den Österreicher_innen und Europäer_innen nach bestem Wissen und Gewissen zu dienen. Das bedeutete für ihn, jene beste Idee, die wir jemals hatten, nämlich die einer starken Europäischen Union, mit jeder Faser seines Herzens und all seiner Kraft zu verteidigen, zu stärken und zu leben.

Eine Regierung, die ich achte, will mehr Europa, mehr internationale Solidarität und mehr Demokratie aus Pflichtgefühl gegenüber ihrem Volk und nicht, damit vermeintliche politische Romantikbedürfnisse bei irgendwem erfüllt sind. Gewählte Politiker_innen auf allen Ebenen haben immer die Verpflichtung, zu dienen. Wer das zu normalen Zeiten nicht begreift, hat zwar auch seinen Beruf verfehlt, doch wird ihm möglicherweise vergeben werden, weil die Politik bei vielen Menschen wenig Ansehen genießt und man nichts anderes erwartet hatte.

In einer Krise wie dieser ist das etwas völlig anderes. Es sind die schlechten Zeiten, die zeigen, wer wir sind und wo unsere Loyalitäten liegen, sagt man immer wieder. Das stimmt, finde ich. Man kann es aber auch anders sagen: Die Krise ist der Moment, in dem wir zeigen müssen, wer wir sind und dass die von uns in Friedens- und Ruhezeiten in Schönschrift aufgeschriebenen Werte etwas bedeuten. Wenn Italien – wie am Beginn der Ausbreitung des Virus – nach Europa um Hilfe ruft und niemand darauf reagiert, bis schließlich die Chinesen Schutzausrüstung liefern, dann müssen wir eigentlich aufschreien. Was soll das heißen, niemand in Europa hat Italien geholfen? Ich erwarte von einer Regierung, die ich achte, dass sie auf so etwas sehr wohl mit einer Hilfeleistung reagiert. Nun, da sich diese Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten einzustellen beginnt, tauchen Dokumente über die Weigerung der EU-Mitglieder zum gemeinsamen Vorgehen bei der Corona-Bekämpfung auf, wie Reuters berichtet. Ich finde, das muss meine Bundesregierung mir erklären, die gerade noch kritische Worte für die EU in dieser Notlage gefunden hat.

Die Einhaltung des europäischen Versprechens von einem besseren Leben in einer besseren Welt ist nicht nur etwas, das Politiker_innen an uns Bürger_innen liefern müssen. Es ist Teil einer Identität eines Kontinents, die jeder und jede Einzelne mit Leben erfüllen muss, indem er seinen Politiker_innen jeden Tag abverlangt, dass sie dafür aufstehen. Politiker_innen richten sich nach Umfragewerten, nach der Volksmeinung. Sie wollen Wahlen gewinnen und es liegt in unserer Hand, ob sie dabei erfolgreich sind. Statt eine funktionierende Union aus Enttäuschung über den Status quo aufzugeben, müssen wir sie von denen, die wir gewählt haben, einfordern.