How to Pressekonferenzinszenierung like Peter Pilz

Wenn der ehemalige Nationalratsabgeordnete der Grünen, nunmehr Anführer einer politisch und personell eher verwirrenden Liste Pilz zur Pressekonferenz läutet, dann ist der Andrang groß. Nachdem wir dieses Spektakel in den vergangenen zwölf Monaten relativ häufig beobachten durften, habe ich Peter Pilz am Beispiel der letzten Pressekonferenz („Personelles zur Liste Pilz“ mit Peter Pilz, Maria Stern und Wolfgang Zinggl) genauer beobachtet und ihm zugehört. 

Wer übrigens den Faden verloren hat, warum diese Pressekonferenz überhaupt notwendig war, dem kann das keiner übel nehmen. Eine kurze Zusammenfassung in der Fußnote*.

Wolfgang Zinggl, wie immer ganz schwarz gekleidet, beginnt als neuer Klubobmann mit einer selbstironischen Floskel über das Boot der Liste Pilz, das schon wieder ins Schlingern geraten sei, Frauensprecherin Maria Stern sitzt neben ihm und grinst. Zinggl erklärt irgendwas, Stern hört zu. Allein: Keiner schenkt den beiden Beachtung, denn am rechten Ende des Tisches hat Peter Pilz Platz genommen. Vor ihm steht ein Wasserglas, er schaut sich um und ist noch nicht dran. Er grinst, wechselt mehrmals die Pose, schaut ein wenig leidend, nimmt aus seiner Sakkotasche einen Zettel, den er sorgfältig auf dem Tisch platziert. Er verschränkt die Arme wieder, schaut vor sich hin, dann greift er wieder in die Tasche, zieht langsam sein Brillenetui heraus und aus diesem eine Brille. Er legt das Etui hin, verschiebt das Wasserglas, legt die Brille rechts daneben, seufzt ungeduldig, schiebt das Wasserglas nach links, dann die Brille nach links. Maria Stern sitzt während alledem still da und Zinggl redet noch immer über irgendwas. Peter Pilz hat noch nichts gesagt und trotzdem schauen alle nur ihn an. Das Spiel mit den Requisiten hat er übrigens nicht erfunden. Es gibt einige Beispiele von Politikern, die das sehr gut drauf haben. Eines der bekanntesten ist die Konfrontation zwischen Taus und Kreisky 1975. Man beachte Kreiskys Brillen-Game über die gesamte Diskussion hinweg. Um es mit dem deutschen Politikwissenschaftler Philip Manow zu sagen: Man beachte die „zentralen Nebensächlichkeiten“.

Irgendwann ist Zinggl mit seinen Ausführungen fertig (was auch immer er gesagt hat) und Pilz ist an der Reihe. „Stellen wir ein paar Mikros rüber. So viel Zeit hamma“, sagt er und beginnt die vielen Mikros einzeln zu sich hinüberzuziehen. Funktioniert gut als dramatische Pause, wirkt auch so, als hätte er einen Theaterscheinwerfer auf sich gedreht. Das Gewurschtel ist endlich vorbei und er sagt, als handle es sich dabei um die ernsteste Frage der Welt: „Sind sie mit der Aufstellung der Mikrofone zufrieden?“ Es irrelevant, erzielt aber wieder seine Wirkung. Falls jemand nicht mehr aufgepasst hatte, jetzt hört er ihm zu.

Man könnte meinen, jetzt käme langsam irgendwer auf diesem Panel zum Punkt, aber nein: „Danke für das Mitgefühl seitens einiger Medien bezüglich meiner chronischen Gastritis. Ich darf Ihnen mitteilen, ich hab keine. Ich hab nie chronische Gastritis gehabt und habe auch nicht vor, sie zu bekommen, egal was passiert, unabhängig von den Turbulenzen bei uns oder von der Entwicklung der Bundesregierung.“ Falls irgendjemand noch nichts von seiner Krankheit, wegen der er angeblich nicht zu seiner Verhandlung am Vortag erschienen ist, wusste, weiß er es jetzt. Es sind jetzt alle bereits seit 15 Minuten hier. Es ging bisher um ein schlingerndes Boot, um Mikrofonaufstellungen und Phantomgastritis. 

Pilz: „Was ich allerdings HATTE … (seine Stimme wird ernst, als ginge es jetzt gleich um etwas Lebensgefährliches) Äh … Es war mir alles andere als angenehm. Es war gestern in der Früh ein Kreislaufkollaps. Mein Arzt ist nachher zu mir gekommen, hat eine virale Darminfektion festgestellt, mir eine Infusion gegeben und hat mir erklärt, dass ich ABSOLUT verhandlungsunfähig bin und ist am Nachmittag NOCH einmal zu mir gekommen und hat mir eine zweite Infusion gegeben.“ […] Klartext: Peter Pilz hatte wohl Durchfall, sein persönlicher Arzt erklärte ihn für verhandlungsunfähig. Wie nachdrücklich er dabei war, wissen wir nicht. „Absolut verhandlungsunfähig“, aber nicht pressekonferenzunfähig, hat er sich wohl gedacht und dem Arzt so ein Schnippchen geschlagen. Man sollte das ja wohl auch zu einem erwachsenen Menschen nicht extra sagen müssen. Krank heißt krank. Keine Showauftritte. Keine Verhandlung, keine Pressekonferenz, kein Trampolinspringen. Aber Pilz macht es halt trotzdem. Also, das mit der Pressekonferenz zumindest. Pilz: „Glauben Sie mir, ich läge jetzt normalerweise zu Hause, aber es ist notwendig, und das muss ich glaub ich nicht im Detail erklären, Ihre Fragen zu beantworten.“ Notwendig wäre auch, zu einer Gerichtsverhandlung zu erscheinen, es sei denn man ist wirklich zu krank dafür. Egal. Die Message sitzt. Er will wohl den Eindruck erwecken, er sei wahnsinnig krank, habe sich aber extra im Sinne der Transparenz und der Wähler_innen trotzdem auf diese Pressekonferenz geschleppt. Warum sind nochmal schnell alle da???

Achja: Pilz: „Die letzten Wochen  [dramatische Kunstpause] waren alles andere als angenehm und ich verstehe vollkommen, dass sehr sehr viele Wählerinnen und Wähler enttäuscht sind, weil sie von uns zurecht was anderes erwartet haben.“ Er spricht weiter über die Gefahren, die von der Bundesregierung seiner Ansicht nach ausgehen, die Umverteilung von unten nach oben, die Freunderlwirtschaft etc. Es sei „klar“, dass die Liste Pilz nun ihrer Oppositionsverantwortung nachkäme und dafür seien einige Entscheidungen notwendig. Eigentlich hätte ja klar sein sollen, dass die Liste Pilz dieser Verantwortung von Tag 1 ihrer Existenz im Parlament nachkommen muss. Sie erhält nämlich immerhin 4,8 Millionen Euro an Klub-, Parteien- und Akademieförderung vom Steuerzahler, für eine Tätigkeit, der sie bis jetzt nicht nennenswert nachgegangen ist.

Pilz erklärt nun, er wolle auf das Mandat von Peter Kolba nachrücken, da das aber aus Wahlrechtsgründen nicht geht, habe Frauensprecherin Maria Stern, die –– je nachdem, wen man fragt – entweder einmal Sprecherin beim Frauenvolksbegehren war oder auch gar nichts, sich bereit erklärt, ihr Mandat für ihn aufzugeben. Pilz: „Die Erwartung unserer Wählerinnen und Wähler seit dem grünen Licht aus Innsbruck ist, dass ich jetzt in den Nationalrat zurückkehre und ich habe das auch vor […]“ Was Pilz und übrigens auch sehr viele andere Politiker_innen aller Couleurs gerne macht, ist den Wähler_innen zu erklären, was die Wähler_innen wollen, erwarten, nicht wollen. Gut, er wird schon recht haben. So manchem ist das mit den Vorwürfen der sexuellen Belästigung völlig egal und er will ihn im Parlament sehen. Dieses „Die Menschen erwarten/wollen …“ ist aber generell etwas, auf das man sich sensibilisieren kann. Bundeskanzler Kurz kann diesen Satzanfang auch sehr gut. 

Pilz erklärt mittlerweile, er wird vorschlagen, Maria Stern zur Parteivorsitzenden zu machen, „weil sie es kann und weil sie die Richtige dafür ist“. Komisch, dass sie dafür bisher noch nie im Gespräch war, aber sei das, wie es sei. Er sei auch bereit, für sie „als Unterstützung“ im Parteivorstand zu bleiben. Wir lernen: Offenbar braucht Maria Stern diese Unterstützung oder zumindest glaubt Peter Pilz, dass es ohne ihn nicht ginge. Er macht daraufhin die Untersuchungsausschüsse zum Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und der Eurofighter-Causa zum Thema, stellt es später in seiner Rede dar, als hätte er persönlich der SPÖ quasi als Gefallen das Verlangen auf die Einsetzung des BVT-Ausschusses geschrieben und sagt gönnerhaft, das sei ein „Oppositionserfolg“ gewesen. Jetzt kann man schon sagen, dass die Sache mit dem BVT-Ausschuss für die Roten alles andere als fehlerfrei verlaufen ist, aber die Rettung der SPÖ durch Peter Pilz ist dann doch ein wenig viel.

Anschließend geht es wieder um die Sache mit den Mandaten und um Martha Bißmann*. Pilz: „Ich habe nie das niederösterreichische Grundmandat angestrebt. Das Mandat, das mir Wählerinnen und Wähler zugedacht haben, war immer das steirische Grundmandat. Das ist mein Mandat.“ Man beachte, dass er sagt „mein Mandat“. „Und ich habe mit Martha Bißmann, die mir nachgefolgt ist und mich im Parlament vertreten hat auch sehr ernste Gespräche geführt über ihr Angebot, mir mein Mandat wieder zur Verfügung zu stellen.“ Wieder die Formulierung: „mich vertreten hat“, „mein Mandat“.Das waren anfangs sehr gute Gespräche und ich habe Martha Bißmann dafür auch zu Beginn meinen vollen Respekt ausgedrückt.“ Zu Beginn. Es soll klar sein: Jetzt ist der Respekt weg. „Es geht auch gar nicht darum, ob ihr dieses Mandat zusteht. Sie ist gewählte Abgeordnete, sie ist vereidigte Abgeordnete und sie allein hat das Recht, über dieses Mandat zu entscheiden. Dieses Mandat gehört nicht persönlich mir, dieses Mandat gehört nicht persönlich unserer Liste, das ist ihre ganz persönliche Entscheidung und damit aber auch ihre ganz persönliche Verantwortung.“ Ginge es nicht darum, ob er findet, dass ihr dieses Mandat zusteht, müsste man das gar nicht so sagen. Aber er weist so noch einmal darauf hin, dass das immer sein Mandat war. Daraufhin verkündet er, er ist für den Antrag auf Ausschluss von Martha Bißmann aus dem Klub. Wenn das durchgeht, ist Martha Bißmann fraktionslose oder „wilde“ Abgeordnete im Parlament und kann, falls sie einen Klub findet, der sie gerne haben möchte, Mitglied eines anderen Klubs werden oder bis zum Ende der Legislaturperiode als fraktionslose Abgeordnete im Parlament sitzen. 

Bevor dann Maria Stern darüber zu sprechen beginnt, warum sie ihr Mandat an ihn abtritt, eine Erklärung, die auch nach dem Ö1-Morgenjournal-Interview mit ihr kein Mensch versteht, bedankt sich Pilz noch bei ihr: „Danke, Maria. Das waren für uns beide keine einfachen Entscheidungen. Wir haben viel drüber geredet und ich hab gesagt: ‚Nein, die Frauensprecherin gehört ins Parlament‘ und Maria Stern hat andere Argumente gefunden […]“ Und Vorhang. Es ist egal, was Maria Stern jetzt erklärt. Pilz hat sogar noch reingebracht, dass er ja eh dafür gewesen sei, dass die Frauensprecherin im Parlament sitzt, aber sie fand einfach ihn besser. 

Und vielleicht hört und sieht diese Dinge in so einer Pressekonferenz ja eh jeder, der sich so weit für dieses Theater interessiert hat, dass er bis dahin drangeblieben ist. Doch wenn man sich darauf konzentriert, sieht man womöglich: Pilz ist ein Schauspieler, der die Illusion von sich, die er sich wünscht, kleinteilig aufbaut und aufrecht erhält. Egal, wie oft er sagt, es ginge um die Liste, das Team, die Sache, am Ende geht es immer nur um ihn. Und ich warte immer noch darauf, dass irgendein Medienvertreter ihn einmal fragt, ob er nicht für einen Moment lang aufhören kann, abzulenken. Denn ganz so unbedenklich, wie Pilz jetzt tut, war das mit den Vorwürfen der sexuellen Belästigung nicht, wie der Presse-Artikel gut erklärt. Das Chaos der Liste Pilz der letzten Monate warf auch kein gutes Licht auf die Politik allgemein. Und ich hätte auch gerne irgendwo die folgenden Sätze gelesen: „Wenn man eine Organisation so aufbaut, dass das Einzige, was ihre Mitglieder an sie bindet, das Versprechen eines Nationalratsmandats ist, dann steht diese Organisation auf keinem stabilen Fundament. Wenn das Einzige, was Abgeordnete einer Liste gemeinsam haben, die Tatsache ist, dass sie Nationalrat sitzen, wird die Solidarität untereinander und der Wille, die gemeinsame Sache über sich selbst zu stellen, nicht sehr ausgeprägt sein. No shit. Who saw that coming?“

 

*Was davor geschah: Peter Pilz wurde 2017 von mehreren Frauen sexuelle Belästigung vorgeworfen, er hat daraufhin „vorläufig“ auf sein Mandat im Nationalrat verzichtet und wollte warten, bis die Vorwürfe aufgeklärt seien. 2018 wurden Verfahren gegen Pilz eingestellt, die Presse erklärt, wie das genau in den einzelnen Fällen war, Pilz wollte zurück ins Parlament. Peter Kolba legte aus gesundheitlichen Gründen das Amt des Klubobmanns zurück. Um den Job riss sich niemand so richtig, ist ja auch viel Arbeit. Gleichzeitig große Streiterei, denn niemand wollte Pilz den Weg frei machen. Bißmann bot erst an, ihr Mandat abzugeben, im Austausch für quasi alles, was das Licht berührt, dann wollte sie das aber doch nicht. Wenige Tage später warf Kolba entnervt das Handtuch, entblockte alle, die er davor auf Twitter geblockt hatte, weil sie sich über die Schwammerln lustig gemacht hatten und ist nun wieder frei von diesem Wahnsinn. Damit Pilz nachrücken kann, muss Listenzweite in NÖ, Maria Stern, die auf Kolba nachgefolgt wäre, verzichten und Noll das NÖ-Mandat annehmen, damit sein Bundesmandat für Pilz frei wird. Das alles haben sie jetzt dann endlich hingekriegt und zur Feier des Tages gab es diese Pressekonferenz.