Unsere Demokratie hat Hybrid — Man bringe den Impfstoff!

Auf Einladung der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung fuhr ich diese Woche nach Prag zu einem Seminar zum Thema Hybride Bedrohungen in Europa. Dies ist ein Versuch, die Gedanken der letzten Tage zusammenzubeuteln.

Hybride Bedrohung meint im Sicherheitskontext vereinfacht gesagt eine Situation, in der ein Staat oder ein nicht-staatlicher Akteur sich einer Vielzahl an legalen und illegalen, an militärischen und nicht-militärischen Methoden bedient, um seinen Einfluss zu vergrößern. Dazu zählen etwa Desinformationskampagnen, Terroranschläge, Einflussnahme im Energiesektor, Cyberangriffe, aber auch Spionage, Korruption, klassische Diplomatie und andere Maßnahmen, um Verwirrung zu stiften und etwa Vertrauen in demokratische Institutionen zu untergraben. Es geht um das Ausnutzen von Schwächen und darum, einen Gegner an verschiedenen Flanken zu treffen und so insgesamt zu schwächen. Manchmal scheint es, als seien hybride Bedrohungen eine neue Entwicklung, doch gibt es diese Vorgehensweise bereits seit der Mensch Konflikte führt. Früher vergiftete man einen Brunnen, heute die Medien. Wenn aber diese Art von Bedrohung keine neue ist, …

… warum regen sich alle so auf?

Die Europäische Union und die liberale Demokratie durchfliegen gerade harsche Witterung. Der Austritt Großbritanniens schwächt die EU, die Migrationskrise stiftete Zwist unter den Mitgliedern, der Aufstieg extremer politischer Kräfte erschwert es der Union, gemeinsame Entscheidungen zu treffen. Auf unserem Rücken klebt also eine riesige Zielscheibe für alle, die ein paar Pfeile werfen wollen. Es ist also nicht die Bedrohung, die neu ist, sondern unsere Verwundbarkeit, die größer geworden zu sein scheint.

Das Problem damit ist, dass die Antwort auf diese Art von Bedrohungen nicht eine einzelne Maßnahme ist, sondern eine Vielzahl an Maßnahmen erfordert. Letztlich ist nur eine resiliente, also eine widerstandsfähige Gesellschaft ein Lösungsansatz für diese Herausforderung. Das bedeutet, wir brauchen zwar eine gut trainierte Polizei, starke Anti-Korruptionsbehörden, Transparenz im Energiesektor und bei der Parteienfinanzierung, aber auch unabhängige und finanziell stabile Medien und starke, kritische Bürger.

Schneckentempo

Wie bei allen neuen Herausforderungen sind wir auch bei dieser Entwicklung zu langsam. Die EU-Institutionen und die NATO und auch alle anderen schreiben zwar seit einigen Jahren Papiere zu diesem Thema, aber es hapert bei der Umsetzung von gerade jenem Teil, der sich mit der Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft befasst.

Debatten über hybride Kriegsführung drehen sich oft um die Zukunft und darum, wie diese Art der Kriegsführung in 15, in 50 Jahren aussieht. Gleichzeitig passiert in der Gegenwart schon eine Menge, für das wir nicht die nötige Aufmerksamkeit aufbringen.

Das Lieblingsbeispiel der europäischen Experten dieser Tage ist die Russische Föderation. Sie spioniert, sie führt Cyberattacken aus, sie übt Druck über den Energiesektor aus, fördert separatistische Politiker_innen und radikale Proxygruppierungen und ganz allgemein gesprochen, confuses the shit out of everyone.

Ein Beispiel: Im Frühling wurde auf Sergej und Yulia Skripal in Großbritannien ein Giftanschlag verübt, der beide ins Krankenhaus brachte und noch eine Menge weitere Menschen betraf. Das Gift wurde von mehreren von einander unabhängigen Laboren als der Stolz der russischen Giftküche, Nowitschok, identifiziert. Wenig später setzten die Russen das Gerücht in die Welt, ein Schweizer Labor sei zu dem Schluss gekommen, für den Anschlag sei ein anderes Gift verwendet worden. Was Bullshit war und hier vom Deutschen Außenministerium richtiggestellt wurde. Das Problem mit gezielten Desinformationskampagenen ist, wenn sie einmal durchs Netz geistern, schlagen sie dort Wurzeln. Es ist viel schwieriger, etwas, das einmal von jemandem gelesen wurde und bei diesem Leser Zweifel gesät hat, wieder richtigzustellen, als jemanden mit einem Stück Fehlinformation zu verunsichern.

In Zukunft wird es noch öfter Situationen geben, in denen wir für Stunden, Tage, manchmal vielleicht Wochen nicht wissen, was wahr ist und was nicht. Um uns für diesen Fall zu rüsten, brauchen wir Medienkompetenz und müssen diese bei allen Altersgruppen aufbauen. Machen wir das? Ja, schon, aber viel zu langsam und zögerlich und unkoordiniert.

Geld

Mächte, die unsere Systeme erschüttern wollen, geben viel Geld für strategische Kommunikation aus. Desinformationsportale, aber auch die Finanzierung „wissenschaftlicher“ Studien und ganzer Think Tanks, der Einsatz von PR-Agenturen und klassisches Lobbying kosten Geld, das die Gegenseite ohne mit der Wimper zu zucken ausgibt. Und wir? Wir haben nicht einmal Schätzungen darüber, wie hoch diese Investitionen sind. Wir wissen nicht, wie groß das Budget von RT und Sputnik News ist oder was uns übel gesinnte Kräfte grob für Social Media Kampagnen ausgeben.

Es gibt auch kaum Überlegungen dazu, ob wir diesen Betrag — wie hoch auch immer er sein möge — matchen oder übertreffen müssen oder wieviel wir mit der effektiven Verwendung eines kleineren Betrags erreichen könnten.

Hinzu kommt: Wenn ein Panzer vor der Grenze steht und auf Österreich feuert, wissen die Bürger_innen, dass eine kriegerische Handlung im Gange ist und wir in Verteidigung investieren müssen. Hybride Strategien lassen die Grenze zwischen Krieg und Frieden verschwinden und oft weiß die Allgemeinheit gar nicht, dass wir uns in einem Konflikt befinden. Woher aber soll dann die Unterstützung für die Finanzierung von Gegenmaßnahmen kommen?

Fixierung auf den Angreifer

Wir beschäftigen uns sehr viel damit, was Russland tut, was die Türkei tun könnte, was der Plan der Daesh ist, unsere Schwächen auszunutzen. Das ist auch sehr wichtig und richtig so. Aber es gibt sehr wenig Debatte und Analyse dazu, dass es bei hybriden Bedrohungen stark um uns selbst, unsere Werte, unser Vertrauen in unsere Systeme geht. Wir denken nicht darüber nach, wie wir selbst stärker werden können, sondern sitzen wie ein Kaninchen vor mehreren Schlangen.

Konkurrierende Interessen nationaler Politiker_innen

Hierzu muss man vielleicht nur fragen: Ist es wirklich das Interesse aller nationalstaatlichen Regierungen in der EU, dass es starke und unabhängige Medien gibt, die nicht beeinflussbar oder käuflich sind? Wollen Regierungen wirklich, dass Bürger_innen jeden Blödsinn als solchen identifizieren, den sie aus dem Mund eines politischen Vertreters oder einer politischen Vertreterin hören? Ich behaupte, es gibt hier mitunter Konflikte zwischen den Interessen der Regierungen und dem gesamteuropäischen Interesse, widerstandsfähig gegen Propagandakampagnen von außen zu werden.

Also was machen wir jetzt?

1. Bewusstsein auf der Ebene der Entscheidungsträger

Politische Entscheidungsträger_innen müssen sich mit der hybriden Problematik auseinandersetzen. Damit meine ich gar nicht, dass wir im Parlament noch mehr über Russland reden sollten (obwohl …), aber was ist zum Beispiel mit dem Vorgehen der Chinesen? Deren Strategien unterscheiden sich von denen Russlands, aber es ist nicht zu leugnen, dass sie ihren Einfluss in Europa in den letzten Jahren drastisch vergrößert haben. Sie machen das zum Beispiel durch gezielten Erwerb von Firmen, die mitunter für uns lebenswichtige Services und Waren anbieten. In den zwei Jahren, in denen ich nun im Österreichischen Parlament gearbeitet habe, ist mir keine einzige Diskussion zu Ohren gekommen, die sich mit diesem Umstand befasst und was er für die Zukunft Europas bedeutet. Ich finde, das ist ein Problem.

2. Einbindung und Information der Bürgerinnen und Bürger

Hybride Methoden zielen in erster Linie nicht auf militärische Infrastruktur ab, sondern auf Gesellschaften und auf das Mindset der Bürgerinnen und Bürger, auf ihre Ängste, Unsicherheit und ihr Vertrauen.

Daher müssen wir hybride Methoden, die auf die Mitgliedstaaten der EU und die Union als Ganzes angewendet werden, öffentlich diskutieren und sichtbar machen. Ein Fall, in dem das meiner Ansicht nach gut gemacht wurde, ist das Vorgehen der niederländischen Regierung, nachdem man die russischen Hacker dingfest gemacht hatte, die die Chemiewaffenbehörde angegriffen haben. Es ist ungewöhnlich, dass Regierungen offenlegen was genau sie wie und bei wem gefunden haben, aber so eine Pressekonferenz kann dabei helfen, uns allen klar zu machen: diese Dinge passieren und zwar jetzt und mitten in Europa.

Ein anderer Ansatz ist generelle Bildung im Bereich Medienkompetenz. Dieses Wochenende traf ich in Prag Dominik Porvažník von (u.a.) Zvol si info, der mit seinen Kolleg_innen Teenager darin unterrichtet, was die Merkmale von möglicherweise unverlässlichen Nachrichtenwebsites, Blogs, Artikeln etc. sind. Sie haben auch eine Art Schulbuch dazu geschrieben und ihr Ansatz bekommt viel Applaus. Machen wir ihn groß! 

3. Strategische Kommunikation nach innen und außen

Wir werden nicht daran vorbeikommen, auf europäischer Ebene einen nennenswerten Betrag in für strategische Kommunikation aufzuwenden, der sich gegen die feindselige Propaganda richtet. Dabei sollte es uns darum gehen, Desinformationsportale langfristig zu delegitimieren und nicht so sehr darum, jede einzelne Fake Story zu bekämpfen.

Auf einer zweiten Schiene wäre es smart, so merkte Jonáš Syrovátka vom Prague Security Studies Institute an, die Problematik von einem reinen Sicherheitsaspekt in eine Sprache zu übersetzen, die auch andere Branchen verstehen. Vereinfacht gesagt: „Es kann Ihrer Marke schaden, wenn Sie auf Breitbart inserieren und somit einen finanziellen Schaden für Sie verursachen.“

4. Humor

Der Kollege Maksym Kyiak aus der Ukraine wiederum steuerte meinen Lieblingsbeitrag zur Debatte bei: Humor ist eine der wirkungsvollsten Arten, Desinformation und absurde und gefährliche Propaganda zu bekämpfen. Wie Prof. Lupin mit dem Irrwicht. Das Verlächerlichen einer furchterregenden Gestalt, nimmt ihr einen großen Teil ihres Schreckens und ein gut gelaunter Bürger, eine fröhliche Bürgerin ist stärker in der Abwehr von Bullshit. Maksym hat für die NATO diesbezüglich an einer wunderbaren Sache mitgeschrieben: Stratcom laughs. 

Aber man kann auch in die USA schauen auf die Arbeit der Menschen, die Infotainment Shows wie Last Week Tonight oder die Daily Show machen. Wir müssen unsere Comedy strategischer für das Bekämpfen von Monstern nutzen und Formate erfinden, die uns zum Lachen bringen und klüger, widerstandsfähiger und stärker machen.

Das Schlusswort frei nach Jan Joel Andersson vom Europäischen Institut für Sicherheitsstudien: Hybride Bedrohungen sind wie bestimmte Krankheiten. Ein substanzieller Anteil der Bevölkerung muss geimpft sein, damit alle geschützt sind. Das müssen wir tun. Bis gestern.